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    Festkleid

    © istock / vitapixBild eines Sonntagskleides

    Von Misha Leuschen

    Nimm das Leben als ein Fest: Trag immer frisch gewaschene Kleider und sprenge duftendes Öl auf dein Haar! Genieße jeden Tag mit der Frau, die du liebst, solange das Leben dauert, das Gott dir unter der Sonne geschenkt hat.
    (Bibel, Prediger 9, 8-9)

    Mein liebstes Sonntagskleid war rosa, mit grauem Überkaro. Meine Mutter hatte es genäht, genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte, mit kurzem Faltenrock und einem coolen, silbernen Emma-Peel-Kettengürtel. Während in anderen Familien wahre Kriege ausgefochten wurden um Rüschenkleider oder Club-Blazer, Helanca-Pullover oder weise Blüschen, trug ich stolz mein schönstes Kleid in der Kirche, auf Kindergeburtstagen und Familienfeiern, bis es partout nicht mehr passte.

    Noch heute erinnere ich mich genau an das Gefühl des leicht kratzigen, steifen Stoffs, an das leise Geklimper des Gürtels.Sonntagskleider besitze ich schon lange nicht mehr. Am Sonntag trage ich meine Alltagskleider, denn meine Sonntage unterscheiden sich meist nicht mehr von den Werktagen. Das Feierliche, Festliche, das Besondere ist auf der Strecke geblieben. Auch meine Seele trägt Jeans, jeden Tag – ob bei der Arbeit, in der Kirche oder in der Oper. Die Freude am Sonntag mit seinen ritualen ist mir längst abhandengekommen. Die knappe Ruhepause zwischen zwei vollgepackten Wochen habe ich mir verdienst, der Sonntag gehört mir, denke ich trotzig. Also lieber ausschlafen als morgens zur Kirche gehen, lieber Jogginghose statt Sonntagskleid.

    Gott mag es gleich sein, wie ich vor ihn trete, aber mir sollte es nicht egal sein, Das merke ich, wenn ich mich doch mal aufmache zum Sonntagsgottesdienst und auf dem Weg zur Kirche meine afrikanischen Nachbarn treffe. Dann fühle ich mich beschämt von hoher Fröhlichkeit und ihrem Stolz, mit denen sie den sonntäglichen Kirchgang als Höhepunkt der Woche zelebrieren und dies auch in ihrer Kleidung zeigen. Die Frauen, prächtig gekleidet in allen Farben des Regenbogens, kunstvoll frisiert, mit ausgefallenen Hüten und hohen Schuhen. Die Männer piekfein, mit bunten Westen und wunderschönen Krawatten. Und die Kinder in ihren schönsten Kleidern, fast so perfekt wie die eleganten Großen. Die Messlatte liegt definitiv zu hoch für mich- Aber Schuheputzen wäre schon ein guter Anfang.

    sonntags – Erfindung der Freiheit, 2009. Hamburg: Andere Zeiten e.V., www.anderezeiten.de

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